von Monika di Bernardo
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6. Oktober 2025
Die oide Wiesn Damals in den 60ern, als wir noch mit der ganzen Familie, Freunden und Bekannten auf das Oktoberfest gingen war es viel kleiner, gemütlicher und friedlicher. Die Mass Bier kostete 1,90 DM statt 15 €! Man trug Alltagstracht oder Jeans statt „Wies’n Outfits“. Es gab ein kleines Kettenkarussell, eine überhaupt nicht gruselige Geisterbahn, die Achterbahn, für die, die sich „aus Versehen“ näherkommen wollten und natürlich den Flohzirkus. Der Geruch aus Bier, Zuckerwatte, gebrannten Mandeln und Bratwürsten allerdings … der ist bis heute derselbe. Einer meiner Onkel, als stolzes Mitglied der „Tölzer Schützen“, hatte das Privileg, im Schützen-Bierzelt immer einen schönen, großen Tisch für uns reservieren zu können. Das hat allerdings auch nicht immer geklappt. Als unsere Gesellschaft deshalb einmal, auf der Suche nach einem Tisch durch das Zelt zog, sah ich plötzlich einen Bekannten, einen jungen Mann, der mein Herz höherschlagen ließ. Er hatte mich auch entdeckt und winkte mir zu. Er saß inmitten einer sehr großen Runde in einer Box und mein aufmerksamer Onkel fragte sofort, ob wir uns nicht an den freien Tisch dazu setzen könnten. Ein älterer Herr wurde konsultiert, der, mit einer einladenden Geste, freundlich nickte. Wie befürchtet, wollte meine Mutter sofort wissen, wer der junge Mann sei. „Den kenne ich vom Reiten“. Weitere Auskunft wollte ich nicht geben, aber es schien meiner Mutter zu genügen. Sie war gefordert, ihre Bestellung aufzugeben und unsere Gesellschaft wurde in kurzer Zeit sehr fröhlich und abgelenkt von meiner, über die Tische geführten, Kommunikation mit Alex, meinem Bekannten. Mit Zeichensprache und Lippenlesen verständigten wir uns schließlich, dass wir zusammen bummeln gehen wollten. Das war damals noch möglich, man wurde noch nicht von der Menschenmenge erdrückt. Mein heimlicher Schwarm war schon richtig erwachsen und hatte mich bis dahin nicht besonders beachtet. Was für eine Gelegenheit! Ich war aufgeregt, aber Gesichtsröte fiel in dieser Umgebung nicht weiter auf. Wir kauften gebrannte Mandeln und gingen als erstes ins Teufelsrad. Hierher kamen die meisten aus Schadenfreude oder in der Hoffnung Blicke unter Dirndl werfen zu können, wenn die riesige Holzscheibe sich immer schneller drehte und die Mutigen, die sich draufgesetzt hatten, unter dem Gejohle des Publikums hinunter fegte. Die Letzten hielten sich, bis die Helfer Seile und große Bälle auf die Scheibe warfen und sie in eleganter Flugkurve am Rand landeten. Wir waren nicht mutig und zogen weiter. Vorbei am „Hau den Lukas“ wo Muskelmänner versuchten, mit einem schweren Hammer einen Schlitten so hochzutreiben, dass er die Glocke oben an der Stange anschlug. In den 60ern gab es auch noch Showmaster, die mit: „Na, traut sich die Dame?“ das Publikum anheizten. Die Zuschauer hatten wahrscheinlich mehr Spaß als die Akteure. Am Toboggan, eine Art Turmrutsche, hielten wir uns länger auf. Auf einem Förderband musste man es acht Meter nach oben schaffen, bis man über eine Wendeltreppe zur Spitze des Turms kam. Von da aus ging es dann auf Sackleinen die gewundene Rutsche hinunter. Das rotierende Förderband stellte für viele ein unüberwindliches Hindernis dar. Besonders für die, die schon eine oder zwei Mass genossen hatten. Es gab zwar Helfer, aber die kümmerten sich lieber um die jungen Damen, die sie elegant noch oben begleiteten. Die anderen, die das Publikum so prächtig mit ihrem Gestolper und ihren Stürzen unterhielten, mussten es allein schaffen – oder auch nicht. Inzwischen hatte Alex locker den Arm um mich gelegt und schlug vor, mit der Achterbahn zu fahren. Mein Herz schlug höher und ich wehrte mich nicht als er mich an sich drückte, um mich vor ein paar vorbeiziehenden, grölenden Rowdies zu schützen. In der Achterbahn saßen wir schön eng zusammen. Die Schwerkraft machte es fast unmöglich, Abstand zu halten. Bis Alex mich fragte: „Sag mal, wie alt bist du eigentlich?“ Kurz überlegte ich, zu lügen, antwortete dann aber ehrlich: „Sechzehn.“ Ein bisschen zögerlich rutschte er von mir weg. Hätte ich doch lügen sollen. Zurück im Zelt flirteten wir noch ein bisschen, bis seine Gesellschaft schließlich aufbrach. Alle verabschiedeten sich überschwänglich von dem älteren Herrn, der offensichtlich Alex Vater war. „Wir sehen uns,“ meinte Alex und winkte zum Abschied. Kurz darauf fragte auch mein Onkel nach der Rechnung, worauf die irritierte Kellnerin meinte: „Das hat der Herr Bürgermeister alles schon bezahlt.“ Ob das Missverständnis später behoben wurde, weiß ich nicht mehr. Ich jedenfalls litt unter meinem ersten Liebeskummer.