Wo ist die Erdbeerbowle geblieben?

Monika di Bernardo- • 17. Juli 2025

Als der Sommer noch in einer Glasschüssel wohnte.

Es ist Sommer – Erdbeerzeit. Man bekommt sie überall: Im Bioladen, auf dem Markt, auf den Feldern zum Selberpflücken, wo viele gleich im Mund statt im Körbchen landen. Zuhause werden dann daraus Smoothies, Desserts und Erdbeerkuchen.


Aber keine Erdbeerbowle.


Früher war sie das beliebteste Getränk bei Geburtstagen, Gartenfesten oder beim gemeinsamen Fußball gucken. Sie durfte bei keinem geselligen Sommerabend fehlen.

Nach dem Einzuckern wurden die Früchte in der bauchigen Bowlenschüssel, dem Stolz jeder Hausfrau, mit Wein aufgegossen und über Nacht kaltgestellt. Kurz bevor die Gäste eintrafen, kam reichlich Sekt dazu.

Zum Trinken gab es extra Gläser mit Henkeln und für die Erdbeeren kleine Plastikspieße, mit denen sie mühsam herausgefischt werden konnten.


Ich erinnere mich, dass bei einem Doppelkopfabend meines Onkels alle so engagiert waren, dass sie auf die Früchte verzichtet haben. Ich, noch keine zehn Jahre alt, beschäftigte mich unbemerkt damit, die prallen Erdbeeren aus den Gläsern zu angeln und mit wachsender Begeisterung zu essen. So kam ich zum ersten „Rausch“ meines Lebens und musste von meinem Onkel ins Bett getragen werden. Meine Eltern durften natürlich nichts davon wissen.


Heute gibt es stattdessen Aperol Spritz, der mit Strohhalm serviert wird oder den Hugo mit dem krönenden Minzblättchen, die man genauso gut allein an der Bar oder am Pool trinken kann.

Das Gemeinschaftserlebnis Erdbeerbowle ist aus der Mode gekommen.

Schade.

von Monika di Bernardo 6. November 2025
Am ersten November, an Allerheiligen, gedenkt die katholische Kirche ihrer Heiligen. Allerseelen, am nächsten Tag, ist dagegen der Tag des Gedenkens aller verstorbenen Gläubigen. Nichtsdestotrotz werden die Gräber üblicherweise schon am Nachmittag des ersten Novembers gesegnet. In ländlichen Gemeinden ist das eine Gelegenheit, zu der sich ein großer Teil der Dorfgemeinschaft auf dem Friedhof versammelt. In den Tagen davor werden die Gräber geschmückt: Frische schwarze Erde, leuchtende Chrysanthemen, bunte Blumen und Kerzen, die das ewige Leben symbolisieren, zeigen, wie wichtig die Ahnen den Familien sind. Bis es schließlich losgeht ist der Friedhof voller Menschen. Um viele Gräber drängen sich Menschentrauben, an anderen stehen nur wenige und an manchen ist niemand. Über die Gräber weg wird gegrüßt, sich unterhalten und verabredet. Schließlich marschiert die Blaskapelle ein, alle Bläser in Tracht, mit glänzenden Instrumenten. Bis sie sich aufgestellt hat, ist es noch unruhig, dann falten alle die Hände und die Kapelle spielt. Der Pfarrer und eine Gruppe Ministranten, alle im weißen Gewand, kommen. Der Lautsprecher wird aufgebaut, ein Ministrant hält das Mikrofon, ein zweiter schwenkt ein Weihrauchgefäß. Der Pfarrer spricht ein Gebet. Dann wird ihm der Weihwasserpinsel gereicht, ein Ministrant hält den Weihwasserkessel bereit und die wichtigste Handlung beginnt: Die Segnung der Gräber. Der Pfarrer schreitet die Gräber ab und versprenkelt das Weihwasser: „Gott, der Herr des Lebens, Gott der Herr des Lebens.“ Zum Abschluss spielt die Blaskapelle noch ein Stück. Nachdem sie geendet hat, ist es still. Es dauert einen Moment, bis alle ans Aufbrechen denken. Vor dem Eingang des Friedhofs finden sich dann wechselnde Gruppen zusammen. Wer in einer dörflichen Gemeinde dieser Veranstaltung fernbleibt, wird vermisst. Umso größer ist die Freude, wenn weiter entfernt lebende Verwandte extra anreisen oder Freunde und Bekannte, mit denen der Kontakt nicht mehr so eng ist, das Gespräch suchen. Viele sehen sich nur an diesen Festtagen und tauschen sich über die Ereignisse des vergangenen Jahres aus. Es dauert länger als die kirchliche Zeremonie, bis Friedhof und Parkplatz wieder menschenleer sind. Dann füllen sich die umliegenden Wirtschaften oder Cafés. Doch auch wenn es ein mehr privater Besuch am Grab eines Angehörigen ist, fühlen wir uns mit den Toten – und den Lebenden - verbunden. Und unweigerlich denken wir an die Vergangenheit, fallen uns Erlebnisse und Anekdoten ein, zieht ein Stück Leben an uns vorüber. Wie wichtig ist so ein Ritual, das uns einmal im Jahr dazu aufruft, zurückzublicken und uns und unsere Geschichte zu reflektieren.
von Monika di Bernardo 6. Oktober 2025
Die oide Wiesn Damals in den 60ern, als wir noch mit der ganzen Familie, Freunden und Bekannten auf das Oktoberfest gingen war es viel kleiner, gemütlicher und friedlicher. Die Mass Bier kostete 1,90 DM statt 15 €! Man trug Alltagstracht oder Jeans statt „Wies’n Outfits“. Es gab ein kleines Kettenkarussell, eine überhaupt nicht gruselige Geisterbahn, die Achterbahn, für die, die sich „aus Versehen“ näherkommen wollten und natürlich den Flohzirkus. Der Geruch aus Bier, Zuckerwatte, gebrannten Mandeln und Bratwürsten allerdings … der ist bis heute derselbe. Einer meiner Onkel, als stolzes Mitglied der „Tölzer Schützen“, hatte das Privileg, im Schützen-Bierzelt immer einen schönen, großen Tisch für uns reservieren zu können. Das hat allerdings auch nicht immer geklappt. Als unsere Gesellschaft deshalb einmal, auf der Suche nach einem Tisch durch das Zelt zog, sah ich plötzlich einen Bekannten, einen jungen Mann, der mein Herz höherschlagen ließ. Er hatte mich auch entdeckt und winkte mir zu. Er saß inmitten einer sehr großen Runde in einer Box und mein aufmerksamer Onkel fragte sofort, ob wir uns nicht an den freien Tisch dazu setzen könnten. Ein älterer Herr wurde konsultiert, der, mit einer einladenden Geste, freundlich nickte. Wie befürchtet, wollte meine Mutter sofort wissen, wer der junge Mann sei. „Den kenne ich vom Reiten“. Weitere Auskunft wollte ich nicht geben, aber es schien meiner Mutter zu genügen. Sie war gefordert, ihre Bestellung aufzugeben und unsere Gesellschaft wurde in kurzer Zeit sehr fröhlich und abgelenkt von meiner, über die Tische geführten, Kommunikation mit Alex, meinem Bekannten. Mit Zeichensprache und Lippenlesen verständigten wir uns schließlich, dass wir zusammen bummeln gehen wollten. Das war damals noch möglich, man wurde noch nicht von der Menschenmenge erdrückt. Mein heimlicher Schwarm war schon richtig erwachsen und hatte mich bis dahin nicht besonders beachtet. Was für eine Gelegenheit! Ich war aufgeregt, aber Gesichtsröte fiel in dieser Umgebung nicht weiter auf. Wir kauften gebrannte Mandeln und gingen als erstes ins Teufelsrad. Hierher kamen die meisten aus Schadenfreude oder in der Hoffnung Blicke unter Dirndl werfen zu können, wenn die riesige Holzscheibe sich immer schneller drehte und die Mutigen, die sich draufgesetzt hatten, unter dem Gejohle des Publikums hinunter fegte. Die Letzten hielten sich, bis die Helfer Seile und große Bälle auf die Scheibe warfen und sie in eleganter Flugkurve am Rand landeten. Wir waren nicht mutig und zogen weiter. Vorbei am „Hau den Lukas“ wo Muskelmänner versuchten, mit einem schweren Hammer einen Schlitten so hochzutreiben, dass er die Glocke oben an der Stange anschlug. In den 60ern gab es auch noch Showmaster, die mit: „Na, traut sich die Dame?“ das Publikum anheizten. Die Zuschauer hatten wahrscheinlich mehr Spaß als die Akteure. Am Toboggan, eine Art Turmrutsche, hielten wir uns länger auf. Auf einem Förderband musste man es acht Meter nach oben schaffen, bis man über eine Wendeltreppe zur Spitze des Turms kam. Von da aus ging es dann auf Sackleinen die gewundene Rutsche hinunter. Das rotierende Förderband stellte für viele ein unüberwindliches Hindernis dar. Besonders für die, die schon eine oder zwei Mass genossen hatten. Es gab zwar Helfer, aber die kümmerten sich lieber um die jungen Damen, die sie elegant noch oben begleiteten. Die anderen, die das Publikum so prächtig mit ihrem Gestolper und ihren Stürzen unterhielten, mussten es allein schaffen – oder auch nicht. Inzwischen hatte Alex locker den Arm um mich gelegt und schlug vor, mit der Achterbahn zu fahren. Mein Herz schlug höher und ich wehrte mich nicht als er mich an sich drückte, um mich vor ein paar vorbeiziehenden, grölenden Rowdies zu schützen. In der Achterbahn saßen wir schön eng zusammen. Die Schwerkraft machte es fast unmöglich, Abstand zu halten. Bis Alex mich fragte: „Sag mal, wie alt bist du eigentlich?“ Kurz überlegte ich, zu lügen, antwortete dann aber ehrlich: „Sechzehn.“ Ein bisschen zögerlich rutschte er von mir weg. Hätte ich doch lügen sollen. Zurück im Zelt flirteten wir noch ein bisschen, bis seine Gesellschaft schließlich aufbrach. Alle verabschiedeten sich überschwänglich von dem älteren Herrn, der offensichtlich Alex Vater war. „Wir sehen uns,“ meinte Alex und winkte zum Abschied. Kurz darauf fragte auch mein Onkel nach der Rechnung, worauf die irritierte Kellnerin meinte: „Das hat der Herr Bürgermeister alles schon bezahlt.“ Ob das Missverständnis später behoben wurde, weiß ich nicht mehr. Ich jedenfalls litt unter meinem ersten Liebeskummer.
von Monika di Bernardo 16. August 2025
Wir sitzen am Strand und schauen aufs Meer. Es ist Ebbe, das Wasser zieht sich langsam zurück, Spaziergänger suchen Muscheln in den Pfützen, kleine Grüppchen stehen zusammen und unterhalten sich. Einige Kinder stehen auf Surfbrettern und versuchen sich im Stand-up-Paddeln, unterstützt von Eltern, die vom Strand aus Hilfestellung geben. Ein Junge hat Schwierigkeiten, weil ein Hund sein Surfbrett umkreist und nicht abzuweisen ist. Das Surfbrett schwankt gefährlich, der Junge versucht, den Hund nicht mit dem Paddel zu treffen und beschwert sich lauthals: „Was soll ich machen? Er geht einfach nicht weg?“ Da dreht der Hund ab und schwimmt in die andere Richtung. Alle wirken erleichtert. Der Junge hält das Gleichgewicht, der Vater ist zufrieden. Der Hund schwimmt weiter. Ein kleinerer Hund läuft bellend ins Wasser, das ist dort noch tief und er muss auch schwimmen. Die beiden begrüßen sich, umkreisen sich, sie werden jetzt wohl zurückkommen. Doch nur der kleinere kommt zurück, der andere schwimmt weiter. Der Vater und Herrchen des Hundes ruft. Der Hund schwimmt weiter. Das Wasser hat nun schon einen deutlichen Sog, die Kinder kommen mit ihren Brettern zurück an den Strand. Nur der Hund schwimmt weiter. In der Ferne sieht man die Halligen im Dunst, ein leichter Wind kommt auf. Der Hundebesitzer rudert mit beiden Armen in der Luft und ruft. Der Hund schwimmt weiter. Inzwischen stehen mehrere Menschen bei dem Hundebesitzer. Alle wirken aufgeregt. Auch die Kinder rufen nun, der kleinere Hund hüpft hin und her und bellt. Der Kopf des Hundes wird allmählich kleiner, aber er schwimmt weiter. Bewegung kommt in die Gruppe. Der Hundebesitzer zieht seine Hose aus und geht ins Wasser. Er ruft, es klingt verärgert. Der Hund schwimmt weiter. Das Wasser reicht dem Mann nun schon bis zum Bauch, er ruft wieder. Jetzt klingt es verzweifelt. Dann schwimmt er los. Der Pulk am Strand steht gebannt, immer mehr Menschen werden es. Der Mann ist ein guter Schwimmer. Schließlich hat er den Hund erreicht, packt ihn am Halsband und will zurück. Der Hund wehrt sich. Wo will er nur hin? Der Mann ist stärker, er zieht den Hund neben sich her. Gleich haben sie wieder festen Boden unter den Füssen aber der Mann lässt den Hund nicht los. Beifall kommt auf. Gerettet. Gerettet?
Urlaub machen wo  andere wohnen
von Monika di Bernardo 4. August 2025
Urlaub machen wo andere wohnen